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Historische Hutständer

Ein Hutständer und viele Fragen - Eine Spurensuche

Kennen Sie die Geschichte hinter diesem Hutständer? 

Wir haben nämlich eine rätselhafte Figur, die 1758 von einem Harm Busch in unserer Kirche aufgestellt wurde. Mehr wissen wir nicht. Aber läßt sich nicht vielleicht noch mehr herausfinden?

Die Suche nach einer Antwort führt mich schon seit Monaten auf eine spannende Reise. Ich habe mich mit Geschichts- und Kulturwissenschaftler:innen und Theolog:innen ausgetauscht. Ich habe Archive durchstöbert und einen alten Gerichtsprozess gefunden. Will man es richtig wissen, muss man schon mal in die Keller und Dachböden der Archive steigen. Dabei tauchen uns bekannte Namen auf: Puttfarcken, Heitmann, Rieck, Peters, Behnken, Kellinghusen, Eggers, Hitscher u.a.m.

Allein schon die Suche wirft ein völlig neues Licht auf das Leben und die Geschichte von Neuengamme und den Glauben der Menschen. Dieser Beitrag nimmt euch mit zu den verschiedenen Spuren, die einen Einblick in die Zeit um 1750 geben.

Zunächst zur Figur: Sie ist rund 14 cm groß, trägt einen Lendenschurz, eine komische Knolle auf dem Kopf, die Farbe ist dunkelbraun. Irgendwie wirkt das Männchen fröhlich mit seinen dünnen Armen und scheinbar beweglichen Beinen, wie Elvis Presley auf der Bühne.

 

 

Eine der großen Fragen unserer Zeit ist die des Umgangs mit den schrecklichen Folgen des Kolonialismus, der Völkermord und großes Leid über die Länder brachte. Also gehe ich mit einer für unsere Zeit naheliegenden Frage an die Gesprächspartner:innen heran: Ist die Figur vielleicht eine Sklavendarstellung?

Das Museum für Hamburgische Geschichte und das Bergedorfer Museum winken ab - Fehlanzeige. Eigentlich unverständlich. Da haben diese Institutionen solche spannenden und weltweit einmaligen Exponate in ihrer Reichweite, und sie scheinen sich nicht einmal groß dafür zu interessieren.

Einen ersten Hinweis hat Professor Markus Friedrich von der Uni Hamburg für mich. Er ist Spezialist für die Frühe Neuzeit und hat sich mit dem 18.Jahrhundert und den sogenannten „Türkendarstellungen“ beschäftigt. So wurden damals einfach alle dunkelhäutigen Menschen bezeichnet. „Das Stück, das Sie beschreiben, ist äußerst interessant. Ich persönlich kenne keine weiteren Objekte dieser Art“, schreibt er mir. „Natürlich sind Abbildungen von dunkelhäutigen Menschen („Mohren“) im 18. Jahrhundert keine Seltenheit, aber etwas in dieser Art kenne ich sonst nicht, tut mir leid!“

In seinem Artikel „Türken im alten Reich“ beschreibt er, wie die Unterdrückung durch den Seehandel der Portugiesen ab 1440 begann, die einen direkten Zugang zum Sklavenmarkt von Westafrika hatten. Das hatte Folgen auch für unsere Breiten: „Die Präsenz von dunkelhäutigen Afrikanern im Reich beispielsweise war alles andere als eine Seltenheit. Zusammen mit anderen Menschen aus Übersee, beispielsweise Eskimos und Indianern aus der Neuen Welt , bildeten sie in der Frühen Neuzeit eine auffallende Gruppe von ‚Fremden‘, die um ihrer Andersartigkeit willen geschätzt und in ihrer Andersartigkeit exotisiert und zur Schau gestellt wurden.“ Durch Auseinandersetzungen mit dem Osmanischen Reich, Überfälle von Korsaren und Piraten gerieten Kriegsgefangene nach Europa. Oft schon im Kindesalter kamen sie in unsere Breiten und wurden als exotische Sklaven gehalten. Ein besonderer Dreh- und Angelpunkt scheint damals Kassel gewesen zu sein. Im Jahr 1758 beginnt gerade das Zeitalter der Aufklärung. Und von dem Gedanken der allgemeinen Menschenrechte waren wir noch weit entfernt. Es ist sicher alles andere als schön, wie unsere Vorfahren damals mit schwarzen Menschen umgegangen sind.

Stellt die Figur in unserer Kirche einen Sklaven dar? Oder einen fremdländischen Menschen, den wir heute nicht mehr einordnen können? Professor Friedrich gibt mir den Tipp, mich an die Uni Bremen zu wenden. Dort arbeitet Annika Bärwald gerade im Rahmen ihrer Promotion zu dem Thema der Präsenz von Schwarzen Menschen in Hamburg um 1800. Sie ist total engagiert und schreibt mir: „Auffällig ist meiner Ansicht nach auch das Jahr, 1758, also mitten im Siebenjährigen Krieg. Möglicherweise war die Familie Busch in irgendeiner Form an Seefahrt oder Kriegskonjunktur der Zeit verwickelt.“

Kann das eine heiße Spur sein?

Der siebenjährige Krieg tobte von 1756 bis 1763, und manche nennen ihn den Ersten Weltkrieg. Denn alle europäischen Großmächte kämpften um ihre Einflusszonen in Nordamerika, Afrika, internationale Seewege und Handelsvorteile. So beschreibt der Roman „Der letzte Mohikaner“ von F.C.Cooper eine Schlacht in Nordamerika,. In Europa kämpften Preußen, Bayern, irgendwie alle gegeneinander. Das haben damals sicher auch die Menschen in Neuengamme mitbekommen. Hamburg selbst war neutral. Genauso wie im Dreißigjährigen Krieg 1618-1648. Das war praktisch. Man trieb Handel mit allen Kriegsparteien und wurde nicht überfallen. Und man war Verhandlungspartner, der Krieg zwischen Preußen und Schweden wurde mit dem Hamburger Frieden beendet. Und Hamburger Segler fuhren damals schon ins westafrikanische Guinea, um Handel zu treiben.

Die Aufgabe ist also: Finde ich einen Nachweis, ob ein Harm Busch aus Neuengamme eine Rolle im Seehandel spielte und die Figur vielleicht zur Erinnerung gestiftet hat?

Doch wie kann man das nach über 250 Jahren herausbekommen?

Quelle: Staatsarchiv von Wolfgang Meinhart, Hamburg
Quelle: Staatsarchiv von Wolfgang Meinhart, Hamburg

Der Weg führt mich ins Hamburger Staatsarchiv. An diesem blauen Magazinquader in der Kattunbleiche direkt am Ring 2 in Wandsbek ist bestimmt schon jeder einmal vorbei gefahren. Dort stelle ich die Frage: Gibt es einen Harm Busch aus Neuengamme in den Archiven? Gibt es Seefahrerlisten von damals? Das leider nicht. Dafür waren wohl zu viele Seeleute unterwegs.

                                                                                                                                                                                                                 

 

 

Aber es gibt einen Treffer: Ich bin schwer beeindruckt, als ich auf den Namen Harm Busch in einem alten Gerichtsregister von 1792 stoße. Die Akte kann man sich bestellen. Im Lesesaal darf ich sie mir anschauen, in einem blauen Papp-Dokumentenumschlag liegt sie auf dem Schreibtisch vor mir. Man muss sich ein bisschen einlesen, das ist die althochdeutsche Schrift. Sütterlin kam erst viel später, aber die Dokumentensprache ist sehr verschnörkelt. Aber es ist schließlich noch gut zu entziffern:

„Paul Harms et Jochim Reimers Schlachter in der Altengamme, Kläger - Carsten Hellms, Schlachter in Curslack wie auch Hinrich Dütschmann, und Harm Busch, Schlachter, in Neuengamme, Bekl(agte).“

Ganz offenbar stand Harm Busch 1792 aus Neuengamme also vor Gericht, und er war Schlachter.

Was steht in dieser Akte?

Und wohin führt uns noch der Weg, um den kleinen Kerl in unserer Kirche zu erklären? Den letzten Teil unserer Reise lest ihr demnächst, Fortsetzung folgt.

Euer Thorsten Neumann